Volume 2

Lehrbuch der topographisch-chirurgischen Anatomie : mit Einschluss der Operationsübungen an der Leiche für Studirende und Ärzte / [G. Joessel].

  • Joessel, G.
Date:
1884-1899
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Lehrbuch der topographisch-chirurgischen Anatomie : mit Einschluss der Operationsübungen an der Leiche für Studirende und Ärzte / [G. Joessel]. Source: Wellcome Collection.

    63/864 (page 171)
    Leistenhernie beim Weibe. Leistenringes 5—0 cm und hat einen mehr schrägen Verlauf. Die Mündungen des Kanals sind engen- und seine Wandungen liegen näher aneinander: denn durch den Leistenkanal des Weibes tritt nur das Lig. rotundum, während beim Manne der verhältnissmässig dickere Samenstrang die Wandungen mehr von einander entfernt hält. Aus diesen Momenten erklärt sich die geringere Anzahl der weiblichen Leistenbrüche gegenüber den männlichen. Es bildet sich beim weiblichen Geschlecht wie beim männlichen während des Fötallebens ein Fortsatz des Bauchfells, welcher durch den Leistenkanal bis in die grossen Schamlippen hinabsteigt. Dieser Scheidenhautfortsatz des Bauchfells (Canalis Nuckii) obliterirt meistens und wird mit seinen Resten an der inneren Seite des Lig. rotundum gefunden. Doch sah Zucker kan dl bei 29 weiblichen Kinderleichen 4 Mal den Canalis Nuckii noch offen. In solchen Fällen können sich angeborene äussere Leistenhernien bilden. Als Inhalt der Hernien findet man ausser den beim Manne angegebenen Organen auch Theile des weiblichen Genitalapparates, namentlich die Ovarien oder die Tuba Fallopiae, in seltenen Fällen aber auch den Uterus. Die äussere Leistenhernie kann, ausser dass sie angeboren ist, sich bald nach der Geburt oder in den ersten Kinderjahren entwickeln. In allen diesen Fällen wird man voraussetzen können, dass sich die Hernie in dem offen ge- bliebenen Canalis Nuckii gebildet hat und dass der Bruchsack präformirt war. Eine gewisse Anzahl von äusseren Leistenhernien tritt erst in späteren Lebensjahren auf. In diesen Fällen kann man wie beim Manne annehmen, dass der Bruchsack nicht präformirt war, sondern sich durch Vorstülpung des die hintere Seite des Leistenkanals überziehenden Bauchfells gebildet hat. Die Hernie entsteht dann am häufigsten nach der ersten Entbindung. Dass sie gerade in diesem Zeitpunkt sich entwickelt, kann man durch die während der Schwangerschaft am Lig. rotundum stattfindenden Veränderungen erklären. Dieses Ligament erfährt während der Gravidität eine beträchtliche Verdickung. Die Wandungen des Leistenkanals werden somit auseinandergedrängt. Nach der Geburt schrumpft das Lig. rotundum beinahe auf sein früheres Volumen ein, ohne dass der von dem Bande während der Schwangerschaft eingenommene Kaum immer fest von Bindegewebe verschlossen wird. In jedem Falle liegen von der ersten Geburt ab die Wandungen des Leistenkanals lockerer aneinander. Die äussere Leistenhernie beim Weibe bleibt gewöhnlich einige Zeit im Leistenkanal liegen, bevor sie zum äusseren Leistenring hervortritt. Hat sie abei einmal diese Oeffnung passirt, dann kann sie in die grosse Schamlippe hinabsteigen und sich dort weiter entwickeln. Sie wird dann als Hcrnia labialis anteiior bezeichnet, im Gegensatz zu der Hernia labialis posterior, welche vom Damm aus in den grossen Schamlippen erscheint. Die Leistenhernien des Weibes werden gewöhnlich nicht sehr gross; sind sie jedoch zu einer Hernia labialis geworden, so können sie allmählich einen beträchtlichen Umfang annehmen. Es sind Fälle bekannt, wo solche Leisten- hernien bis zur Mitte des Oberschenkels herabreichten.